Donnerstag, 12. November 2015

Weltwärts – nur eine individuelle Horizonterweiterung?

Als wir noch in Deutschland davon erzählt haben, dass wir nach der Schule einen Freiwilligendienst in Indien absolvieren wollen, haben wir beide oft ähnliche Rückmeldung bekommen: „Wie toll von dir, dass du den armen Kindern dort hilfst ein besseres Leben zu führen!“ (sinngemäß). Klar diese Reaktion ist irgendwo nachvollziehbar, schließlich wird ein weltwärts Freiwilligendienst zu 75% vom BMZ finanziert – von staatlichen Mitteln, die Menschen in „materieller Not“ zu Gute kommen sollen! Andererseits beschreibt sich weltwärts selbst vor allem als „Lerndienst“, doch wer ist der Lernende – der Freiwillige!
An dieser Stelle müssen wir zugeben, dass wir hier tatsächlich niemanden aus materieller Not befreien können und dies auch nicht zu unserem Aufgabenfeld gehört. Wir helfen in geringem Maße der NGO NMCT, in dem wir Dokumentationsarbeit für sie leisten. Außerdem gestalten wir die Freizeit der Kinder in Abhaya und probieren ihnen durch Einheiten zu „Nett-Sein“, „gesundes Essen“ oder „Computer Class“ etwas Sinnvolles mit auf den Weg zu geben. Wir tragen durch die tägliche Kommunikation zur Verbesserung ihrer Englisch-Kenntnisse bei und da wir Freiwillige und keine angestellten Mitarbeiter sind, haben wir auch Zeit ihnen einfach Liebe und Aufmerksamkeit zu schenken. Das mag auf den ersten Blick nicht schlecht klingen, jedoch kommt die Frage auf, warum diese Arbeit ausgerechnet von deutschen, unausgebildeten Jugendlichen verrichtet wird, die zwar nicht direkt bezahlt werden müssen, denen aber hohe Kosten für Flug, Visum ect. gestellt werden.
Der Freiwilligendienst ist für uns eine enorme Bereicherung. Wir lernen die Arbeit einer NGO kennen, sehen wie HIV infizierte Menschen unterstützt werden können, wie ein Mikrokredit weiterhilft und welche Auswirkungen ein Netzwerk aus Frauenselbsthilfegruppen haben kann. Wir fangen an uns mit den Folgen kolonialer Machtverhältnisse und Rassismus auseinander zu setzen, denken über Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und die Bedeutung von Bildung nach. Wir reflektieren viel mehr über unser eigenes Denken und Handeln und stellen vor allem auch deutsche Systeme in Frage. Es handelt sich also eindeutig um eine individuelle Horizonterweiterung, die den Menschen in Not konkret nicht weiterhilft.
Doch ein Freiwilligendienst ist mehr, denn eine solche Horizonterweiterung zieht Kreise. Ein Beispiel dafür ist unser Blog, mit dem wir euer Interesse an Indien wecken wollen. Er soll Einblicke in eine fremde Kultur und generell in Entwicklungszusammenarbeit geben. Klar können wir uns dabei nur auf unser persönliches Bild beschränken, aber immerhin sind unsere Berichte frei von medialen Vorurteilen.
Auch ist unser eigenes Interesse an globalem Austausch geweckt und damit kann tatsächlich etwas bewirkt werden! Wie Studien zeigen gewinnt die Entwicklungszusammenarbeit durch rückgekehrte Freiwillige viele neue und engagierte Helfer. Außerdem tragen Rückkehrer durch persönliche Gespräche, spontanes Verhalten und aktive Vortragsarbeit dazu bei, dass zwischen Ländern wie Deutschland und Indien eine Partnerschaft auf Augenhöhe entsteht.
Ziel des weltwärts Programmes ist es also nicht „Entwicklungshelfer“ zu entsenden, die nach dem klassischen, rassistischen Geber-Nehmer-Prinzip den armen Kindern etwas zu Essen geben und somit eine Abhängigkeit wie in kolonialer Zeit weiterführen. Vielmehr sollen die Freiwilligendienste dazu beitragen, dass eine Brücke zwischen dem globalen Norden und Süden gebaut wird und gleichberechtige, freundliche Beziehungen entstehen.
Der einzige Kritikpunkt der bleibt, ist, warum diese Brücke in der Vergangenheit nur dadurch errichtet werden konnte, dass Freiwillige aus dem globalen Norden in den Süden reisen und nicht anders herum. Wir sind sehr froh euch hiermit berichten zu können, dass unsere Entsendeorganisation, die KKS, sich ab nächstem Jahr auch an einem Gegenprogramm beteiligt. Im Frühjahr werden zwei InderInnen nach Bensheim kommen und sich dort in einem ähnlichen Rahmen – wie wir es im Moment hier in Indien tun – engagieren. Ihr Aufenthalt wird ebenso vom BMZ gefördert!
Im Moment kriegen wir hier in Indien die Vorbereitungen für dieses Programm mit. Letzten Monat haben wir Malathi aus dem KKID zu einer Informationsveranstaltung an eine Universität begleitet und konnten den Studenten dort ein wenig über unsere Erfahrungen als Freiwillige berichten. Auch unter den Mitarbeitern von NMCT gibt es großes Interesse! Wir sind schon sehr gespannt, wen wir 2016 in Deutschland begrüßen dürfen! J

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